Es geht um die Vertretung in Parlamenten. In der Fuzzy Democracy kann diese Vertretung ohne Parteien auskommen. Somit kann sie die Meinungsvielfalt akkurat wiedergeben.
Man fange an mit den neuen Wahlmöglichkeiten.
(1) So gut wie keine Stimme geht verloren.
(2) Man wählt themenbezogen und nicht ortsgebunden.
Dazu drei Fragenkataloge: (i) Wie funktioniert das praktisch? Wie ist es überhaupt möglich? Warum hatten wir das nicht vorher? (ii) Welche Grundsätze stecken dahinter? (iii) Welche Vorteile bringt die Fuzzy Democracy? Gibt es überhaupt Nachteile? Wie wirkt sich eine derartige Demokratie auf Regierungsform, Staatspolitik und Gesellschaft aus? Wie setzt sie sich um?
(1)
Bei der „Fuzzy Democracy“ geht (so gut wie) keine Stimme verloren. Man sucht sich den (nach eigener Einschätzung) besten Kandidaten im ganzen Land aus. Im Notfall stellt man sich selbst zur Wahl. Um ins Parlament gewählt zu werden, braucht der Kandidat eine bestimmte Anzahl an Stimmen. Normalerweise verfehlt er diese Schwelle, kann aber von wenig erfolgreichen Kandidaten Stimmen übertragen bekommen. Somit ergibt sich eine parlamentarische Zusammensetzung, die zumindest 90% der Standpunkte akkurat wiedergibt.
(2)
Die zweite Komponente der Fuzzy Democracy ist die thematische (anstelle der geographische) „Dezentralisierung“ (auf Englisch „Devolution“). So werden z.B. Fragen der Infrastruktur von einem anderen Parlament behandelt als etwa außenpolitische Belange. Man wählt somit nicht den gleichen Menschentyp (oder Partei) für Finanzfragen wie für ethische Weichenstellungen.
Somit die beiden Kernpunkte.
Jetzt zum Praktischen:
Wie sieht es im Wahllokal aus?
In der Wahlzelle stimmt man elektronisch ab. Um die Transparenz bzw. Sauberkeit (d.h. eine Kontrollmöglichkeit) zu gewährleisten, wird die Stimme aber auch auf Papier ausgedruckt. Den Zettel faltet man, um ihn anschließend in die Wahlurne zu geben.
Zunächst erscheint auf dem Bildschirm eine kurze Liste der Kandidaten, die am Ort ansässig sind. Also genau wie bisher vertraut. Somit können z.B. ältere Bürger, die die Handhabung der neuen Technik nicht kennen, ohne Umschweife wählen.
Man muss seinen Wunschkandidaten schon ausgesucht haben. Dessen Namen gibt man auf dem zweiten Bildschirm ein, kontrolliert die Angabe, um Verwechslungen zu vermeiden, und wählt. Zettel in die Wahlurne. Erledigt.
Was geschieht nach der Abstimmung?
Um einen Sitz im Parlament zu gewinnen, muss ein Kandidat eine bestimmte Anzahl an Stimmen erreichen, z.B. 100.000. Diese Schwelle könnte alternativ als Bruchteil der abgegebenen Stimmen bestimmt werden, z.B. ein halbes Prozent. Das ist ein technisches Detail, das uns jetzt nicht aufhalten muss.
Einige Kandidaten erhalten recht wenige Stimmen, andere sehr viele, verfehlen aber noch immer die Schwelle. Einige wenige erhalten weitaus mehr als die Schwelle.
Diese Stimmen werden jetzt umverteilt. Das kann z.B. bei einer tagelangen Versammlung stattfinden. Die wenig erfolgreichen Kandidaten übertragen ihre Stimmkontingente auf diejenige, die unweit der Stimmschwelle liegen. Die besonders erfolgreichen Kandidaten verteilen ihre Überschussstimmen ebenfalls auf Mitstreiter ihrer Wahl.
Man merke: Ein Kandidat mit geringen Erfolgsaussichten muss sich nicht vorher dazu äußern, wem er sein Stimmkontingent ggf. zu übertragen gedenkt. Es wird angenommen, dass seine Anhänger sich vorher von seinem guten Charakter, seinem Urteilsvermögen und seiner politischen Ausrichtung überzeugt haben. Bei der Endwahlversammlung, bei der er ggf. neue Argumente oder Kandidaten kennen lernt, ist er ohnehin frei in seiner Entscheidung. Diese Wahl ist nicht geheim.
Wie findet man seinen Wunschkandidaten?
Idealerweise ist dies jemand, den man halbwegs persönlich kennt, sei es aus der Nachbarschaft, über den Beruf, aus der Vergangenheit oder durch Engagement in gemeinsamen Projekten. Sonst geht man auf die Suche, wie man dies auch bei der Heiratsanbahnung vorgeht, nur ist dies weniger kompliziert. Es gibt ja im ganzen Lande viele Tausende Kandidaten. Somit hört man auf, wenn man einen ausreichend guten gefunden hat. Das Internet erleichtert vieles.
Im Notfall stellt man sich selbst zur Wahl. Dazu gibt es ein paar Richtlinien, wie sonst. So muss man sich ein paar hundert Befürworter holen und gut tausend Euro hinterlegen. Dafür erhält man eine Webseite zur Verfügung gestellt. Sind Parteien noch immer nicht verboten worden, so können diese mitwirken, indem sie Empfehlungen aussprechen.
Wo bleiben denn die Parteien?
Die Wahlmechanismen der Fuzzy Democracy erlauben es durchaus,dass Parteien fortbestehen.
Parteien waren im letzten Jahrhundert erforderlich, um die Kandidatenliste zu beschränken, d.h. übersichtlich zu halten. Dazu musste eine Vorauswahl stattfinden, die eben nur über Parteien stattfinden konnte. Auch das Zählen der abgegebenen Stimmen durfte praktisch einen gewissen Rahmen nicht sprengen.
Mit der Fuzzy Democracy wird diese Vorauswahl hinfällig. Sie wird durch die Verfahrensweise der Fuzzy Democracy ersetzt.
Denkbar ist, dass die großen und mittelgroßen Parteien ohnehin an Einfluss stark abnehmen würden, denn sie wären nicht mehr durch die Fünfprozentklause geschützt und sie wären auch sonst geschwächt.
Nach meiner Meinung: Angesichts des Verhaltens weltweit von so gut wie allen Parteien in den Jahren der Covid-Panik müssten diese schlicht verboten werden, ggf. mit Ausschluss der aktiven Mitglieder vom passiven Wahlrecht. Die Parteien wirken anscheinend als Magneten für einige der schlimmsten Lügner und Betrüger. Wir brauchen in unseren Parlamenten eine andere Gattung Menschen. Das kann die Fuzzy Democracy versorgen.
In einer Übergangsphase könnte eine Partei – z.B. die Basis – sich durchaus zum übergeordneten Programm die Abschaffung der Parteien vornehmen. Es geht hier um die total schwierige Problemstellung, wie denn radikaler Wechsel vonstatten gehen kann.
Themenparlamente
Es ist der Ruf laut geworden — nicht zuletzt von Reiner Füllmich &nmash; nach einer starken Regionalisierung. Hier habe ich meine Bedenken, vor allem aber bietet die Fuzzy Democracy eine Alternative.
Wofür ist ein Parlament gut?
Ausholen: Unsere Gesellschaftsform lebt von der Aufgabentrennung. Das ist — oder leider war — eine der wesentlichen Errungenschaften der westlichen Zivilisation.
Der Staat braucht eine Exekutive — also eine Regierung — die sich dem Tagesgeschehen widmet. Er braucht auch ein Justizwesen, das als Gegenpol funktioniert. Zwischen diesen steht das Parlament, das Gesetze billigt, die dann vom Justizwesen umgesetzt werden.
Die Exekutive wird vom Parlament bestimmt (ggf. benannt): in der Praxis von einer oder von einigen wenigen Parteien. In den letzten Jahrzehnten wurde die Rolle bzw. die Macht der Parlamente weltweit zugunsten der Exekutive immer stärker eingeschränkt. Die Fuzzy Democracy sieht vor, dass dieser Trend umgekehrt wird. Dies erreicht sie u.a. durch getrennt gewählte Parlamente für die großen Themenbereiche der Politik.
Die Themenbereiche könnten mit einschließen: Infrastruktur; Justizwesen; Außenpolitik (inkl. Verteidigung); Steuergestaltung; getrennt davon: Ausgabepolitik. Als Einstieg für das erste Themenparlament empfehle ich Fragen rund um die Ethik, denn diese kontroversen Themen sind nicht rechts/links geteilt. Dazu gehören Beginn & Ende des Lebens (z.B. Abtreibung, Sterbehilfe); Freigabe bzw. Regelung von Drogen, also von Cannabis, Tabak, usw.; Wetten (Glücksspiele); Tierschutz; die Rechte von Kindern & Pflichten der Eltern. (Derartige Themen dürften nicht vom gleichen Menschentyp bestimmt werden, die politisch ihren Werdegang ihrer Finanzexpertise verdanken.) Ob denn nach den Entwicklungen der letzten Zeit ein Parlament für Gesundheitsfragen angebracht ist, oder sonst ein Parlament für das Bildungswesen, steht hier noch im Raum.
Die Anzahl der Themenparlamente, für die ja getrennt gewählt wird, muss übersichtlich bleiben. Eine übergeordnete Kammer ist erforderlich, um Kompetenzstreite zu klären sowie ggf. auch kontroverse Beschlüsse zu überprüfen.
Wenn schon Themenparlamente, dann sollten diese sinnvollerweise die Regierungsminister für ihre Bereiche bestimmen. Somit wären die Hände eines Kanzlers oder Ministerpräsidenten bei der Ernennung oder auch Entlassung gebunden. Die Fachminister könnten souverän auftreten. Viele der Fehlentscheidungen der letzten Jahre sind auf die Konzentration der Macht auf die fast diktatorischen Befugnisse von wenigen Personen zurück zu führen.
Die Grundsätze (Hintergedanken) der Fuzzy Democracy
Bei der Konzipierung ging es mir um die Herstellung einer politischen Ordnung, die den Namen „Demokratie“ verdient. Der Beiname „Fuzzy“ sollte darauf hinweisen, dass diese Ordnung nur eine Annäherung sein kann. Das Wort wird der Computersprache entnommen, wo man von „Fuzzy Matches“ spricht, wenn z.B. eine Suchmaschine nicht nur einen „Müller“ sondern auch einen „Möller“ aufspürt.
Mit „Demokratie“ meine ich nicht eine freiheitliche, dann wohl liberale Rechtsordnung. Diese ist vielmehr die Voraussetzung für die Demokratie. Mit „Demokratie“ meine ich die Möglichkeit eines jedes Bürgers, die politische Richtung der Gesellschaft mitbestimmen zu können.
Eigentlich kann kein Staat „demokratisch“ regiert werden, denn dazu sind die Entscheidungen zu filigran, die Verflechtungen zu kompliziert. Es kann höchstens eine Zielrichtung vorgegeben werden und im Sinne der Demokratie regiert werden.
Die Demokratie in der Wahlzelle hat aber eine weitere, wenn auch verwandte Aufgabe. Sie wirkt als Notbremse. Dies am deutlichsten bei einer Volksabstimmung, wie neulich bei der Brexit. Indem man die Notbremse tätigt, hat man noch lange nicht bestimmt, genau wo denn der Zug hinzufahren hat, bloß zunächst mal nicht rasend in die vorherige Richtung.
Eine Nebenbemerkung zu Referenden. Wie bereits die Auflistung von Ethikfragen oben andeutet, stehen zu jedem politischen Bereich zahlreiche Belange zur Diskussion. Man kann unmöglich über alle getrennt abstimmen. Die informierte Teilnahme an Wahlen würde zu einer Vollzeitarbeit verkommen, die die Wenigsten würden leisten wollen oder können. Deshalb werden überhaupt Volksvertreter gewählt. Im übrigen geht bei Referenden der Streit schon damit los, wie denn die Frage auf dem Wahlzettel formuliert werden soll. Sogenannte „Direkte Demokratie“ ist undurchdacht und ließe sich nur kurz implementieren. Gelegentliche Referenden nach Schweizer Modell stehen auf einem anderen Blatt, diese funktionieren allerdings anders als allgemein angenommen und erweisen sich auch nicht als das Gelbe vom Ei. Gerade bei Referenden besteht außerdem die Gefahr, dass eine Mehrheit eine Minderheit unterdrückt bzw. eine Polarisation des Volkes herbeigeführt wird.
Man sollte vielmehr die Demokratie nicht als Herrschaft der Mehrheit auffassen, sondern als Mitbestimmung der zahllosen Minderheiten. Mehrheiten gehören dem Augenblick, sind zweckgebunden oder eher fließend mit ständig wechselnder Zusammensetzung.
Zum Prinzip, dass jeder Bürger soll sich melden können, Gehörn als Grundgedanken der Fuzzy Democracy die Präzision in der Wahlzelle, ohne dass Wählengehen belastend wird. Natürlich gibt es Grenzen zur Präzision. Bei den vorhandenen Parteiendemokratien gibt es aber so gut wie keine Präzision mehr. Eine Grenze zur Präzision stammt von der Überlegung, dass Wählen nicht übermäßig kompliziert oder gar häufig sein soll. Hinzu kommt bei fast allen Wahlverfahren die Verfälschung, die aus dem Ausschluss der Minderheitenstimmen resultiert. Bei der Fuzzy Democracy im Gegenteil werden diese durch Vertrauenspersonen „recycelt“. Man wählt nur selten einen Vertreter direkt, sondern man ernennt einen politisch Bevollmächtigten – auf Englisch, man vergibt ein „Power of (political) attorney“.
Wahlbeteiligung: Es darf nicht die Regel sein, dass Bürger, die sich wenig Gedanken gemacht und sich nicht informiert haben oder vom Ergebnis nicht betroffen sein werden, die Willensbildung von anderen Bürgern zunichte machen. Wer sich für die Politik nicht interessiert, soll bitte dem Wahllokal fernbleiben. Es kommt auf die Qualität der Wahlbeteiligung an, nicht auf die Quantität.
Es besteht keine allgemeine Bürgerpflicht, an Wahlen teilzunehmen. Sehr wohl aber ist dies die Pflicht von Menschen, die eine entsprechende Bildung genossen haben (z.B. Rechtsanwälte); oder auch von Bürgern, die von sich aus für Politik interessieren, sich über sie ärgern oder sich sonst dazu berufen fühlen. Das muss jeder subjektiv für sich wissen und entscheiden. Die Menschen sind verschieden, und ihre Beteiligung am gesellschaftlichen Leben kann ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen. Wer sich für das Justizwesen nicht sonderlich interessiert, mag dem entsprechenden Wahl fernbleiben, dafür aber kann er bei einer starken Meinung zur Außenpolitik diese im Wahllokal melden. Somit bietet die Fuzzy Democracy eine nie dagewesene Möglichkeit, sich politisch doch gezielt einzubringen.
Die abschließenden Fragen (iii):
„Welche Vorteile bringt die Fuzzy Democracy?
Gibt es überhaupt Nachteile?
Wie wirkt sich eine derartige Demokratie auf Regierungsform, Staatspolitik und Gesellschaft aus?“
überlasse ich zur Diskussion Ihnen / Euch. Ebenfalls die Möglichkeiten von bzw. Aussichten auf Umsetzung.